21.06.2004

Sommersonnenwende – das Wetter entschied sich schließlich doch noch für uns, das Mephisto 31 war gut gefüllt, neugierig wurden die Texte, das Buffet und die Zutaten vom Grill erwartet. Denn passend zum Thema „Feste feiern“ gab es im Anschluss an die Lesung eine kleine, wohlschmeckende Party, um den Sommer – endlich – einzuläuten und den Freihafen festlich in die Sommerpause zu verabschieden.

Die Autorinnen und Autoren des Tintenschiffs spendierten das Buffet, Wolfgang (unser Wirt) schmiss den Grill an und sieben Leute servierten ihre Texte.

Den Anfang machte Ralf, er präsentierte „Die 3 von der Tanzstelle“ – für manche Gäste eine Geschichte mit Wiedererkennungswert und seine Art sich mal zu bedanken für Treue, Inspiration und gute Zeiten.

„Im Flackerlicht der Stroboskope zuckten Körper zu den Rhythmen der Musik. Ich schaute mir die Menschen an, wie sie tranken und tanzten. Da sah ich eine Frau, Augen eines Rehs, Bewegungen einer Schlange. Sie zwinkerte mir keck zu. „Hey, komm!“ Meinte sie wirklich mich? „Hey du, ja du!“ Sie meinte mich! „Hey, tanz mit mir!“ Sollte ich mich zweimal bitten lassen, gar auf eine dritte Aufforderung warten. Mensch Ralf, sei nicht blöd, sagte ich mir und ab ging der Bär. Tapsig die ersten Schritte. Aber ihr ansteckendes Wesen erweichte meinen Körper, ließ ihn geschmeidig werden. Ich wollte ihr folgen, Schritt für Schritt, Lied auf Lied. Aber wie so oft im Leben, wollte ich mehr und länger, als ich konnte. Denn ich war schon bald erschöpft, irgend eine Stimme in mir schrie nach Wasser.“ ... „Durstig stolperte ich von der Tanzfläche fort, glich einem betrunkenen Matrosen an Bord eines Schiffes bei Windstärke Acht, bewegte mich dabei direkt auf ein breites Lächeln zu. „Stehst du auch auf was Härteres?“ Diese warme, weiche Stimme drang an mein Ohr, von dort direkt an mein Herz, vorbei an meinem Hirn, was noch immer nach Wasser, Ruhe und Erholung schrie. „Ich hab mir gerade Led Zeppelin gewünscht!“ Kaum hatte sie den Namen der Band ausgesprochen, schon kamen mir vertraute Klänge an mein Ohr. Mit Schwung ging sie auf die Tanzfläche, zog mich und meinen willenlosen Körper mit, gerade so wie ein Schnellzug, wenn man zu nahe am Gleis steht. Auch Geboren um wild zu sein nahm ich mit, ebenso wie die Autobahn in die Hölle. Meine Schuhe dampften, meine Fußsohlen brannten, als stände ich in den Flammen der Unterwelt.“ ... „Sie warf ihre Krücken fort und sich mir in die Arme. „Komm, tanz mit mir!“ Zusammen mit ihr taumelte ich zurück auf die Tanzstelle. Es begann eine wilde Fahrt. Sie hielt sich an mir fest, wir drehten uns auf der Stelle, vor meinen Augen drehte sich alles. Die bunten Lichter verschwammen zu einem Meer aus Sternen, spiegelten sich in ihrer Brille. Ich schaute sie an, den einzigem Fixpunkt im Raum, fühlte mich zurück versetzt in ein Kinderkarussell auf dem Rummelplatz. Überall Melodien und Rhythmen, fröhlichen Menschen und hektische Lichter, eine Glocke ertönte. Sie könnte vielleicht von dem Feuerwehrwagen stammen oder auch von einem Schiff. Nur in welchen Hafen werden wir einlaufen?“...

Auch dieses Mal gab es eine Premiere: Brigitte las zum ersten Mal bei uns und zum ersten Mal öffentlich! Ihre Geschichte hieß „Alle Jahre wieder“ und beschrieb das Grauen des Geburtstagsfestes bei der Patentante, ein Vorkommnis, das sich leider jedes Jahr wiederholte. „... Da saßen sie nun alle: Emma, die Kaufmannswitwe aus Bremen. Mit üppigen, gelblich gefärbten Haaren, einer Perücke gleich, grell geschminkt, mit Goldschmuck behängt wie ein Weihnachtsbaum und Zigarre rauchend dröhnte es aus dem Sofa mit einer Stimme wie von Zarah Leander: „Brigittchen, bist du aber groß geworden.” Das fing ja gut an. Ferner gab es die beiden farblosen Hauswirtschaftslehrerinnen Hilde und Grete. Die eine klein und untersetzt, die andere lang und hager, deren einziges „aufregendes” Thema ihre Schule betraf. Annemarie, die kugelrunde Frohnatur aus Vegesack, die sich nach einigen Likörchen über alles kaputtlachen konnte: Krebsrot im Gesicht gackerte sie los, umarmte und küsste meinen Vater, der jedes Jahr neben ihr Platz nehmen „durfte”. Für ihn war es immer wieder eine Heimsuchung. Nicht zu vergessen, Toni, die alte Cousine, die wie ein Rabe auf ihrem Stuhl hockte und sich kaum an der Unterhaltung beteiligte. Nur manchmal huschte ein schmallippiges Lächeln über ihr Gesicht. Hertas Schwester Elisabeth kümmerte sich, wie stets, um die kulinarischen Genüsse. Und last, but not least, die Mutter der beiden Schwestern. Sie thronte vor dem grünen Kachelofen in einem ausladenden Ohrensessel. Eine zierliche alte Dame mit wunderschönem weißem Haar. Statt einer Brille benutzte sie noch eine Lorgnette an einer langen Platinkette. ...“

Marcel erzählte mit „Jetzt“ die Geschichte von drei alten Freunden. Doch was so harmlos klingt, war ganz und gar nicht so, denn in dieser Geschichte musste man bei jedem Satz darauf gefasst sein, dass mit dem nächsten alles anders wird. Zur Veröffentlichung hier gibt er allerdings nur die Einleitung preis: „Sie kennen sich schon ein paar Jahre. Nennen wir sie hier M1, C2 und A3. Sie haben das Verschiedenste projektiert, wenig davon realisiert, aber großen Spass dabei gehabt. Sind getrennte Wege gegangen, haben aber immer wieder zusammengefunden. Sie haben verschiedene eigene Weltrekorde aufgestellt, eingekauft, in Zeitungen publiziert, Drogen genommen, abgespült, CDs heraus gebracht, herumgefickt, lange an Texten gearbeitet, sind öffentlich aufgetreten, viel mit ihren schwarzen Trekkingrädern rumgegurkt, haben keine Kinder gezeugt, den Müll runtergebracht, Ladendiebstähle begangen, in Filmen mitgespielt, die Lebensabschnittspartnerin gewechselt, selbst Filme gemacht und jahrzehntelang in Gruppen gelebt.“

Anna kam mit ihrem Buch vorbei, war gar nicht darauf vorbereitet, etwas daraus vorzulesen, ließ sich aber gerne dazu überreden, auch wenn sie erst meinte, gar nichts zum Thema zu haben. "Weihnachtsgedanken" spielt um die besagte Zeit herum, ist aber eher den düsteren Seiten gewidmet: „...Und heute vor einem Jahr waren wir mit deiner Mutter in der Kirche und haben "O du Fröhliche " geplärrt. Es ist viertel nach vier. Ich glotze noch immer auf das Telefon. Mittlerweile ist es nicht mehr grün, sondern schon im gräulichen Einerlei der Dämmerung versunken. Es ist still um mich. Die Menschen hocken neben Tannenbäumen und spielen Friedlichkeit. Ich nicht. Ich bin nicht friedlich. Mit einer Sicherheitsnadel spieße ich deinen Namen auf, halte ihn mir ganz dicht vor die Augen. Drehe und wende ihn. Serge. egreS. Spielt keine Rolle. Es ist nichts übrig. Ich versuche mich an dein Gesicht zu erinnern. Dann gehe ich zum Spiegel und sehe nach, ob meines noch da ist. Es ist. Ich schließe die Augen, öffne sie wieder. Um mich herum ist es finster, eine Weihnachtsbeleuchtung erhellt den Raum nur leicht. Meine Augen sind schwarz. Die Ränder darunter auch. Ich habe in den vergangenen neun Wochen deine Augenfarbe vergessen, ich grübele, ob ich sie jemals kannte. ...“

(Anmerkung der Autorin: „Anbei kann man Bücher von mir auch gerne kaufen, das aus dem ich gelesen habe, am besten bei mir direkt für 5 Euro. Erreichbar bin ich über e-mail: Anna-Muench@web.de sowie übers Telefon: 0171/8704277“)

Frohsinn hatte auch Regina nicht zu verbreiten. Ihre Geschichte erzählte von einem Ehemann, der vieles gutzumachen hatte und dachte mit einer Überraschungsparty zum Jahrestag könnte er sich aus der Affäre ziehen, die Wogen glätten, sich zurück in ihre Gunst schleichen... "„Also Leute, denkt dran, ihr verhaltet euch ganz ruhig. Erst wenn ich „Tatatata“ rufe, kommt ihr alle ins Zimmer gestürmt.“ Die Gäste, die sich pünktlich um halb sieben mit ihm vor der Wohnungstür versammelt hatten, nickten. Sie kicherten verhalten und machten sich gegenseitig Zeichen, als sie sich in den engen Flur drängten. Henning schlich mit angehaltenem Atem zum Wohnzimmer, aus dem leise Musik zu hören war. Die Tür war angelehnt. Er lauschte kurz, dann stieß er sie schwungvoll auf. „Überraschung!“" Die Überraschung, die er dann erlebt, ist nicht die von ihm geplante.

Maike fiel erst ewig nichts zum Thema ein, dann schrieb sie doch noch kurz entschlossen eine Kurzgeschichte über das, was einer passieren kann, wenn sie zu fest gefeiert hat. „Fest gefeiert“ erzählt vom Morgen danach: “Gestern hatte sie gut ausgesehen, in der schummrigen Beleuchtung, der aufgeheizten Atmosphäre, nach dem – wie vielten? – Sekt. Mit ihr zu gehen, war so einfach gewesen, so selbstverständlich. Jetzt schlich sie sich aus dem fremden Bett, irrte leise und halb blind durch das Zimmer, suchte ihre stinkenden Klamotten zusammen. Auf die Brille verzichtete sie. Die hatte gestern, in der Hektik des Augenblicks, dran glauben müssen. Durch die Risse im Glas sah die Welt völlig verrückt aus, da akzeptierte sie lieber die Verschwommenheit. Sie stieß sich den großen Zeh an einem Tischbein und murmelte ein paar Flüche, hielt den Atem an. Verdammt, hoffentlich wachte die Andere jetzt nicht auf! Bloß kein Morgen-Danach-Gespräch!“ ... „Immer noch auf Strümpfen hastete sie ein Stockwerk hinunter, erst dann schlüpfte sie in ihre Schuhe. Trotz Kopfschmerzen und undeutlicher Sicht sprang sie die restlichen Stufen hinunter, fühlte eine große Erleichterung, als die Haustür mit einem dumpfen Schlag hinter ihr ins Schloss fiel. Die Kälte drang durch ihr dünnes Hemd, klebte feucht auf ihrer Haut. Ihre Jacke! Sie hatte ihre Jacke drinnen vergessen. Bei der Anderen. Was jetzt? Zurückgehen? Bloß nicht. Ihre Papiere hatte sie in der hinteren Hosentasche. Oder? Sie fühlte hastig nach, ja, alles da. Und ihre Schlüssel? Sie tastete ihre Taschen ab. Ein Mal. Ein zweites Mal. Mist!“ Und an diesem Punkt hatte die Heldin der Geschichte noch längst nicht den Tiefpunkt erreicht...

Arjen kam etwas verspätet, brachte aber eine „Danksagung“ mit, die viel Gelächter auslöste. „Zu dem heutigen Treffen möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich ganz herzlich bei der Liberianischen Botschaft in Venedig zu bedanken. Danke Schön, wertvolles Liberianisches Volk, für das große, üppige Haus umringt von einer buschigen, menschhohen Hecke, das Ihr auf der Insel Lido, der teuersten und mondänsten der verschiedenen Inseln in der Venedig Laguna, vor meiner Ankunft in einer Nebenstraße mit Blick auf dem kilometerlangen Strand gebaut habt. Zurück denkend merke und gestehe ich, ohne eine Sekunde daran zu zweifeln, wie sehr das Moment, in dem ich mich vor dem Regierungsgebäude befand, eine für immer prägende Erfahrung meines Lebens geworden ist. Um gerecht zu bleiben, muss ich an dieser Stelle ebenfalls dem Hamburger Tourist danken, dafür, dass er die ganze Strecke von dem Venedig Deutschlands bis zu dem Venedig Italiens mit einem großen, von der Firma Herz gemieteten Ladewagen gefahren ist. Und nicht zuletzt auch dafür, dass er dieses Auto an genau dem Nachmittag, an dem ich da war, vor der Liberianischen Botschaft geparkt hat. Ohne euch, wertvolle Liberianische Botschaft und lieben Hamburger Tourist, hätte ich nie in aller Ruhe meinen Harndrang gehen lassen können, ohne jegliche Spur der Aufregung in den langsam vorbeigleitenden Poeminenten-Autos zu verursachen. Durch die Fensterscheibe des Wagens habe ich mich darüber versichern können, dass in keinem einzigen Augenblick, die Vermutung eines unsittlichen Delikts in solcher Nähe auf den vorbeifahrenden Gesichtern zu lesen war. Glückliche Erlebnisse am von Thomas Mann selbst beschriebenen kieselweißen Strand der Lido Insel blieben hiermit völlig ungetrübt und leben bis zum heutigen Abend noch in ihrer reinen Unschuld fort.“ Natürlich war dies nicht das Ende der Geschichte und auch lange noch nicht das Ende des Abends.

Wir feierten gemeinsam mit unseren Gästen, aßen gut, unterhielten uns angeregt und so manche blieben wohl länger als zunächst geplant. Wie schon gesagt: Es war unsere Verabschiedung in die Sommerpause. An dieser Stelle unseren herzlichen Dank an alle Autorinnen und Autoren, die den Freihafen mit ihren Texten bereichert haben! An unser Publikum – ihr seid wunderbar! Wo wären wir ohne euch?

Wir hoffen, euch alle – und auch jetzt neugierig gewordene – am 20. September 2004 (wieder-) zu sehen. Dann heißt unser Thema „Lügengeschichten“.

Ob ihr uns Lügen über euren Sommer auftischt, eure Karrieren, Lieben, Parties, Haustiere,... liegt ganz in eurer Hand. Wir freuen uns auf euch und wünschen einen schönen Sommer!



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